Painting Poems 


Ausstellungsdauer
 bis 23.6.2007 

Die einführenden Worte von 
MMag.Dr. Johannes Rauchenberger,
Kulturzentrum Minoriten, Graz:

Meine Damen und Herren, 

„I do not seek I find“, ist John Hoyland in der jüngsten großen Buchpublikation seines Lebenswerks, die bei Thames and Hudson erschienen ist, in den Mund gelegt worden, so als ob er den ungarischen Kinderbuchliebling Janosch gelesen hatte, wo der kleine Bär bekanntlich immer sagt: „Ich gehe Pilze finden“. Und in der Tat, wir sehen nicht nur, wir finden Pilze, Sonnen, Blumen, Lichter, Bäume, die uns hier auf den Bildern dieser Ausstellung entgegeneilen, eine phantastische Welt, als wären wir mit Janoschs Wald mal in den Tropen, mal auf einer Insel, mal am Eismeer gelandet. Es sind „Painted Poems“, aber nicht nach dem wörtlichen Wortlaut von Gedichten, sondern als malerische Ideogramme, als Erahnung dessen, wie der Vers im Wort lauten könnte, wenn es das Bild nicht gäbe. Aber es gibt es eben und nur die Tatsache, dass es Gedichte gibt, gibt der Malerei eine Hand, die man beinahe zärtlich nennen kann. 

Ob Budapest, Villach oder London: Das Finden ist um eine Portion glücklicher zu betrachten, als das Suchen, leichter, vernetzter. Dass Dagmar Aichholzer erneut einen der ganz großen Maler des Inselreiches nach Kärnten in Ihre Stadt Villach gebracht hat, wenige Monate nach seiner großen Retrospektive in der Tate St. Ives, mögen Sie bitte, meine Damen und Herren, hochschätzen, würdigen, denn mit ihm geht ein ganzes Stück Kunstgeschichte des vergangenen Jahrhunderts mit, mehr als 50 Jahre Malerei und somit Malereigeschichte. Mit der Biografie John Hoylands klingen so ganz nebenbei und selbstverständlich Namen mit wie Mark Rothko, Barnett Newman, Hans Hofmann, Robert Motherwell, Anthony Caro; unter seinen Vernissagen war schon, als ich noch gar nicht auf der Welt war, Princess Margret… Seinen internationalen Durchbruch hatte John Hoyland vor fast genau 40 Jahren mit der Ausstellung in der wohl berühmtesten Galerie Londons, der Whitechapel Gallery, (die höchstens noch mit Whitehead konkurriert und ähnlich klingt wie diese ambitionierte Galerie white8 hier, der John Hoyland heute – und damit uns – seine Präsenz und damit Referenz etweist). 

1954 bereits, als fast 20-Jähriger malte er Bilder, von denen man sagte, sie „seien ein bisschen French“: Gemeint waren Cezanne, Matisse, van Gogh, die blaue Periode Picassos… Als John Hoyland die internationale Bühne betrat, waren seine Bilder auf der Höhe der damaligen Größen des abstrakten Expressionismus, seine erste abstrakte Komposition malte er 1958. Bilder, die sich durch strenge Formen und Farbflächen auszeichnen, die streng komponiert sind, die die Intensität der Fläche ins Unermessliche zu steigern wusste. 

Man würde dies alles nicht glauben, wenn man diese Bilder aus den letzten Jahren, die Sie hier finden, und doch hat die Entwicklung seiner Formensprache etwas Stringentes, auch wenn diese Bilder Jackson Polloks Tripping näher sind als den Farbmonochromyen der abstrakten Expressionisten. Freilich, in der Liga der ganz Großen wie Newman und Rothko zu spielen, bedarf eines gezielten Trainings, die eigene Handschrift zu finden, und dies ist umso schwerer, als es in jener Liga eben keine Handschrift gibt. 

So ist es wunderbar zu beobachten wie ab Anfang der 70er Jahre bei John Hoyland die großen monochromen Flächen zu vibrieren, mitunter zu glühen beginnen – sie erscheinen nicht wie bei Rothko und sie „überfallen“ nicht wie bei Newman. Sie beginnen sich allmählich vom Hintergrund zu lösen (- was ist der Hintergrund?), die Bildfläche zu halbieren, sich als Bilddiagonale das Bild zu zerteilen, allmählich zu neuen, aus sich selbst heraus lebenden Formen zu werden, zum Kreis zu mutieren, zur Triangel, zur Weltscheibe, zum Gesicht, zur Maske. Das Erwachsen aus der schweigenden Fläche auf den Riesenformaten von John Hoylands Bildern zu selbständigen Form-Lebewesen, kreisrunden Riesenscheiben bis zu den trippenden märchenhaften Formen hier im Spätwerk von John Hoyland ist ein Prozess zur absoluten Freiheit, den sich ein Maler im Spätwerk erlauben kann: Vergleichbar mit Picasso. 

John Hoylands Bilder der letzten Jahre sind prall in ihrer Dichte, künden von der „thrilling beauty“ und zugleich von der Gewalt der Natur, von ihren zerstörerischen Kräften ebenso wie von ihren lebensspendenden Formen und Säften, von ihren Zyklen von Licht und Finsternis, Werden und Vergehen, ihren verlangsamenden und in Bewegung setzenden Energie. 

Diese Dialektik, die Kunst seit jeher bestimmt und die hier in diesen Bildern eine besondere Qualität erhellt, hat der berühmte österreichische Kunsthistoriker und nach London emigrierte Kunsthistoriker Erwin Panofsky in der Spannung zwischen dem Gefühl für Fülle und (constraining) Form beschrieben: „Fülle ist nichts anderes als die phänomenologische Erfahrung der Realität, die durch alle Sinne fließen kann“. 

Fülle, so Panofsky, ist die Erfahrung des Künstlers, die sich als „Fusion“ am Bild realisiert. Fülle korrespondiert mit der Zeit. Form korrespondiert mit dem Raum. Fülle und Form, Zeit und Raum- vier bedeutungsschwere Worte, die in der Malerei John Hoylands besonders entgegentreten. Als ob hier, in diesen Bildern des späten Hoyland eine Entdeckung vor sich geht, die einer permanenten Ausdehnung in der Zeit gleichkommt, eine un- bzw. transpersonale Energie, eine egalitäre Autonomie: Man spürt den Geist Jackson Pollocks. Oder doch – coincidentia oppositorum! – Barnett Newmans, dessen malerische Stilrichtung der junge Hoyland so ausgedehnt verfolgt hat? In einem frühen Aufsatz spricht Newman vom Maler der Zukunft als einen, der in der Lage ist, ein „Plasma-Bild“ zu malen. 

Denn: „Der subjektive Beitrag zur Schöpfung ist Chaos.“ 

„Der Maler der Gegenwart hat sich nicht bloß mit seinen eigenen Gefühlen oder dem Geheimnis seiner eigenen Person zu beschäftigen, sondern mit dem Eindringen (penetration) in das Geheimnis der Welt… Er hat über das sichtbare und über die erfahr- und erklärbare Welt hinauszugehen und zwar mit Formen, die selbst ihm unbekannt sind. Er ist deshalb berufen zu einem wirklichen Entdeckungsakt, neue Formen und Symbole zu schaffen denen eine lebendige Qualität der Schöpfung zukommt.“ 

Wie für Newman oder Pollock auf ihre je verschiedene Weise liegt für Hoyland die leitende Obsession seiner Kunst in den Mythen des Ursprungs: Wie Welt entsteht, im Prinzip der Genesis und der Individuation, verbunden mit dem Auftauchen aus dem undifferenzierten Chaos zu einem definierbaren und definitiven Zeichen. Die lebendigen Zeichen und Kreise, die aus der Acryltube, erstarrten Formschreibungen in den späten Bildern Hoylands sind Symbole solcher kosmischer Genesis. Sie sind ins Bild gesetzt in ihrer puren expressiven kalligrafischen Funktion. Die Kalligrafie (wörtlich: das Schönschreiben) verwandelt sich bei John Hoyland in ein Ideogramm: in ein Zeichen, ein Symbol, eine Figur, die die Idee aufleuchten lässt, ohne sie wirklich bezeichnen zu müssen. 

In der Tat, die kosmologische Fantasie dieser Werke vermittelt ekstatische Freude. Sie zerstreut in einer gewissen Weise die kulturelle Identität, sie löst das psychische Ego auf. Die Linien und malerischen Formen in ihnen sind Signaturen der energetischen Identität, sie sind Ideogramme einer dynamischen personalen Lebensweise, Symbole einer Energie, die eine Form findet. Was wir in den späten Bildern Hoylands als „Fantasie und Bild“ erkennen, kann nicht ohne das Entstehungsmaterial betrachtet werden; es ist eine Fantasie der Formen, der Unformen, ja des „Informel“, Fantasien des Lichts, der Dunkelheit, der Farbe und des Zeichens, das exakt die Entstehungsweise des Gemäldes nachvollziehen lässt. 

Meine Damen und Herren, „I do not seek, I find“. Kehren wir zurück zum Pilzefinden. Es fallen uns neben den schon genannten auch noch viele Bären ein, die uns dabei begleiten, wenn wir die „Painted Poems“ sehen: Chinesische Dichtung, Bilder von Miro, Geschichten von Gabriel Garcia Marquez und Jorge Luis Borges zum Beispiel. Robert Motherwell hat John Hoyland sogar das Angebot gemacht, ein „neuer Turner“ werden zu können. Was er meinte ist nicht das überflutende Licht, sondern das Janusgesicht von Ekstase und Abgrund, von Licht und Schatten, von Gutem und Bösem, von Faszination und von Furcht. Was er meinte war aber auch, dass John Hoyland längst die Eintrittskarte für den Olymp der britischen Kunstwelt erhalten hat. 

Als solcher ist er heute auch bei Ihnen in white8. Das verdient, wie überhaupt der ganze Abend hier, die Galeristin Dagmar Aichholzer, ihr ambitioniertes Galerienprogramm und ihre neuen Räume, ein standig ovation.