M a r k u s G u s c h e l b a u e r
ENCLOSED ISLANDS
photowork and installation
plum, 2013
opening March 27, 2014 6 – 8 pm
duration May 31, 2014
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Zur Ausstellung „Enclosed Islands“ in der
white8 GALLERY
Die Bäume, der Wald
Die Redewendung ist bekannt: „Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“ Ausnahmsweise ist sie nicht von Goethe, Urheber sind unbekannt. Aber immerhin hat ein Weimarer Klassiker mit der Popularisierung des Diktums zu tun: Christoph Martin Wieland. „Es ist als ob die närrischen Menschen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen könnten; sie suchen was ihnen vor der Nase liegt, und was sie bloß deswegen nicht finden, weil sie sich in einer Art von Schneckenlinie immer weiter davon entfernen“, liest man in seinem Briefroman „Aristipp“. Nicht die einzige Verwendung der Metapher in Wielands Werk. Was das Sprachbild bedeutet liegt auf der Hand: die Nichtwahrnehmung des Wesentlichen. Offen bleibt aber, ob dieses Wesentliche das Detail ist oder das Ganze. Womit wir bei der Kunst von Markus Guschelbauer sind, die nicht nur, aber unübersehbar von diesem unauflösbaren Verhältnis des Details zum Ganzen und umgekehrt handelt.
„Enclosed Islands“ nennt Guschelbauer seine aktuelle Präsentation, die hoch komprimiert die erwähnten komplexen Beziehungen in den Brennpunkt rückt. Der Titel lässt an das Projekt „Surrounded Islands“ denken, das Christo und Jeanne-Claude Anfang der 1980er-Jahre in Florida realisierten. Die beiden schlossen damals elf Miniinseln in der Biscayne Bay mit pinkem Polypropylen ein, machten die Inseln so mehr oder weniger erst sichtbar und verwiesen auf ihren Kontext – die Inseln waren künstlich aufgeschüttet und vor allem als Müllhalden verwendet worden. Die Teile und das Ganze hatten plötzlich wieder etwas miteinander zu tun. Die Realität einer Überflussgesellschaft wurde als ästhetisches Erlebnis wahrnehmbar gemacht. Guschelbauers „Enclosed Islands“ bewegen sich ebenfalls, wie viele seiner bisherigen Arbeiten, im Spannungsfeld von, etwas pathetisch ausgedrückt, Wahrheit und Schönheit. Beides sind, wie man weiß, äußerst schwer zu definierende Begriffe, heikle Begriffe, auch deshalb, weil sie leicht verbogen und missbraucht werden können. Aber, wie Kunst immer wieder zeigt, ist es kein unversöhnliches Begriffspaar. Kunstwerke, die schön sind, können wahr sein. Ästhetik schließt Kritik nicht aus. Auch attraktive Oberflächen können rau sein.
Mit den Bildern dieser Ausstellung, „stillen“ und leicht bewegten, führt der Künstler in eine Wirklichkeit, in denen das Absolute der Definitionen „natürlich“ und „künstlich“ in Frage und zur Diskussion gestellt wird. Wie „natürlich“ ist eine Fichtenmonokultur? Wie natürlich ist ein gepflanztes, fachkundig geschnittenes Pfirsichbäumchen? Wie wahr ist die Behauptung, dass Schönheit natürlich „natürlich“ sein muss? Die Raffinesse von Guschelbauers Strategie liegt darin, dass er zeigt, wie wenig zielführend es ist, eine scheinbare Dichotomie – was leicht wäre – vordergründig zu bebildern. Die Stirn zu runzeln, den Zeigefinger zu heben. Vielmehr nutzt er das komplementäre Wesen des vermeintlich Gegensätzlichen und kommt dadurch zu Ergebnissen, bei welchen, um einen Begriff aus der Mengenlehre zu verwenden, die Schnittmenge von Natur und Kunst beachtlich ist. Die Teile sind nicht ohne das Ganze zu haben, das Ganze erhält seinen Sinn erst durch seine Teile.
Man könnte also in Umkehrung der eingangs zitierten Weisheit sagen, Markus Guschelbauers Interventionen verhindern, dass man den Baum vor lauter Wald nicht sehen kann. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Struktur von Rinden, die elegante Form von Blättern, die nuancierten Farben, mit welchen Natur (auch noch in ihrer künstlichsten Form) arbeitet. Sie lenken den Blick aber auch auf die Textur von Plastikbahnen, von Kunststofffolien. Ohne diesen ihrerseits die Fähigkeit zu subtilen Nuancierungen, ihr ästhetisches Potenzial abzusprechen. Guschelbauers Programm ist differenziert. Auch wenn Arbeiten „Plastice Nature“ heißen, enthält er sich billigen „Natur gut – Plastik böse“-Parolen. Das Plastik, das er hier einsetzt, schafft zunächst einmal Räume, in welchen Natur isoliert wird. Man kann das natürlich als Angriff des Einen auf das Andere lesen. Man könnte es aber auch als Schutzraum sehen, in dem scheinbar Banalem, in diesem Fall den Stämmen von Fichten, ein großer Auftritt ermöglicht wird. Tatsächlich kann man sagen: Markus Guschelbauer öffnet, gerade indem er „Enclosed Islands“ schafft, Räume begrenzt, im konkreten Fall sogar auf einen einzigen Raum sich beschränkt, beschränken muss, Interpretationsspielräume von großer Offenheit. Man sollte sie nutzen. Die Form der Bewegung in diesen Räumen bleibt jedem selbst überlassen. Die Schneckenlinie, die Wieland, wie wir hörten, mit der Entfernung vom Wesentlichen in Verbindung bringt, scheint mir nicht die schlechteste Route der Annäherung zu sein. Im Gegenteil: Sie ist jedenfalls länger als die Direttissima und bietet größere Möglichkeiten der intensiven Auseinandersetzung mit Wald und Bäumen. Mit den Details und dem Ganzen. Der Auseinandersetzung mit einer Kunst, die beweist, dass eingeschlossene Inseln das Gegenteil von „gated communities“ sind.
– Walter Titz